Vergessene Jubiläen und ein schwarzer Kater

Gerade liegt Wubi in der Sonne und lässt sich von Nora die Ohren waschen. Hätte man mir vor fünf Jahren gesagt, dass ich derartiges mit diesem Kater erleben würde, ich hätte es nicht geglaubt.

Am 18. Juni jährte sich zum fünften Mal der Tag, da wir unser Leben mit dem schwarzen Pracht-Pummel-Kater teilen.
Aber wie das immer so ist, bei F und mir, die Jubiläen schreiten an uns vorbei und wir übersehen sie. Schon unser „Einmonatiges“, dem anfangs ja noch eine gewisse Bedeutung zukommt, besonders, wenn man dem Teeniealter gerade erst entwachsen ist, erlebten wir nur retrospektiv.
„Ach, wir sind ja schon über einen Monat zusammen.“ -„Oh, stimmt, das haben wir vergessen.“ „Beim nächsten Mal denken wir dran.“ -„Auf jeden Fall!“
Und so vergessen und übersehen wir bis heute die meisten Jahrestage. Ich z.B. werde alljährlich von Fs Geburtstag überrascht. Aber das ist eine andere Geschichte.

Wubi, der eigentlich Bubi hieß, lebte ungefähr die ersten zwei Jahre seines Lebens bei einer Frau mit Alterspsychose in einer Messie-Wohnung. Die Frau hielt ihn und noch eine weitere Katze für ihre Kinder und da Kinder so gerne Kuchen äßen, bekamen die Katzen Napfkuchen aus dem Diskont. Als der Sozialpsychiatrische Dienst die Wohnung der Frau aufbrach, um sie aus ihren eigenen Lebensumständen zu befreien, fiel auf, dass da auf den Küchenschränken spitze, schwarze Ohren und riesige, angstvolle Kulleraugen hervorlugten.

In einer dramatischen Einfangaktion machten sich Menschen vom Veterinäramt daran, den damals überhaupt nicht pummeligen Kater einzufangen. Er kam schließlich am Rande Berlins in Josis Heimtierpension unter. Josi, diese Seele von Mensch arbeitete mit dem Berliner Tierschutz zusammen, inzwischen (oder damals schon?) betreibt sie mit ihrer Tochter die Heimtier-Nothilfe Wartenberg e.V.

Über drei Monate hockte er in ihrer Tierpension auf dem Schrank und starrte entsetzt auf die Welt, in die er da hineingeraten war.
Bis eines Tages wir kamen. Eigentlich war es meine Schwester, die nach einem Meerschweinchenkumpel für ihre quiekende Kleintierperücke suchte. Aber auch das ist eine andere Geschichte. Jedenfalls lag uns außerdem unsere Tierschutzfreundin D in den Ohren, wir sollten uns den Kater unbedingt mal ansehen. Wie der Kater hieße? Bubi. Aber das B wurde verschluckt und wir verstanden: Wubi.

Wubi fühlte sich nur auf seinem Schrank sicher. Aber da zeigte er schon seine zukünftige Pracht: Schnurrte und schmuste und sabberte und guckte mit seinen Murmelaugen wie ein erstauntes Auto. Und Leckerlies riss er einem aus der Hand.
F sagte, wir sollten ihn aufnehmen. D sagte, Malo könne doch nicht allein bleiben, als Wohnungskatze. Josi sagte, der säße da jetzt schon seit Monaten auf dem Schrank und niemand interessierte sich für ihn. Ich war mir unsicher. Meine Schwester sagte nicht viel, fuhr nur immer wieder mit mir raus nach Wartenberg und irgendwann war ich mir sicher.

Wir besorgten einen weiteren Kratzbaum und anderes Gedöne, von dem die Heimtierindustrie behauptet, die Tiere würden es mögen, was aber irgendwie nie so ist und fühlten uns präpariert. Malo fand uns sehr sonderbar, aber das war ja nichts Neues. Am Morgen, bevor wir Wubi holten, kramte F – aus mir bis heute unerfindlichen Gründen! – seine alte Spicegirls-CD raus und ich bekam einen Ohrwurm von „2 become 1“, der mich tagelang in seinem Würgegriff hielt.

Wubi bei Josi von seinem Schrank und in die Box zu locken gestaltete sich schwierig. Er ließ sich nicht anfassen und von der Einfangaktion in der Messie-Wohnung hatte er immerhin so viel behalten, dass er es hasste eingefangen zu werden. Aber irgendwann saß er in der Box, sabberte verzweifelt, hechelte und weinte jämmerlich.
In der Friedenstraße hatten wir das Gästezimmer für ihn hergerichtet, unzählige Versteckmöglichkeiten weil wir wussten, so ein Angstkater muss sich zurückziehen können. Und weil da zwei Problemkatzen vergesellschaftet werden sollten, wurde Wubi fürs erste im Gästezimmer separiert. Da er sich sowieso nur verkroch, störte es ihn nicht.
Von dem schnurrenden Schmusebär auf seinem Schrank, war nicht viel geblieben. Er fürchtete sich vor allem – wir bekamen ihn nicht zu Gesicht. Mit einem umgedrehten Glas horchten wir an der Tür, ob er was mache.
Um ihn an uns zu gewöhnen, gingen wir abwechselnd rein und redeten irgendwas. Als mir nichts mehr einfiel, begann ich ihm Robinson Crusoe vorzulesen, Defoes ewige Aufzählungen, was Crusoe aus dem Schiffswrack bergen konnte, mussten einfach entspannend wirken.
Während ich vorlas, lag ich flach auf dem Boden, damit er keine Angst vor meiner Größe haben musste. Wir drängten ihm keine Berührungen auf, aber boten ihm bei Sichtkontakt  immer mal Leckerlies aus unserer Hand an. Meist verschmähte er sie.
Der Schlüssel zu seinem Herzen waren schließlich diese ungesunden Leckerliestangen ausm Discount, die tun da irgendwas rein, wovon fast jede Katze wahnsinnig vor Gier wird. Und während Wubi so tat, als wäre er gar nicht da (er blieb als warmer Haufen unter einer Tagesdecke versteckt) konnten wir ihn durch die Decke streicheln und ihm immer wieder Leckerlies zuwerfen.

Es gab dann noch viel Streit mit Malo. Es war nicht gerade eine gute Idee einen jungen Angstkater mit einer alten Ziege vergesellschaften zu wollen. Heute würde ich das nicht mehr machen, aber ich bin froh, damals noch unbedarft gewesen zu sein. Denn so erlebten wir das Wunder, wie diese zwei Einzelkatzen mit den so unterschiedlichen Charakteren Freundschaft schlossen.
Im November 2006 kam dann noch der kleine Muck dazu.

Und da wurde Wubi ein Katerkumpel, war Teil der Herren Gesangsverein, krähte und gurrte mit Muck im Chor. Wubi und Muck, die Quatschmacher-Kater, spielten fangen, heckten gemeinsam Unfug aus, erkundeten die Welt und schliefen beieinander.  Als Muck vor bald fünf Monaten mit nur sechs Jahren starb, hat auch Wubi getrauert. Und ich kann immer noch nicht an diesen Verlust denken, ohne Tränen in den Augen. In diesem kurzen Jahrzehnt hat Wubi viel mitgemacht: Unser Kampf um Muckis Leben, der Verlust, die Trauer und das Chaos vor dem nahenden Umzug. Der Umzug, dieses Scheusal. Dann einen großen Komplett-Check beim Tierarzt samt Blutabnahme und Zahnsteinentfernung. Auf die Impfungen reagierte er mit starken Schmerzen und Fieber. Und schließlich zwei spanische Katzen, die aus ihren Boxen stolperten, fremd rochen und laut rufend durch die Wohnung rannten.
Aber heute sitzt Wubi hier, mein Dussel-Dups, und wirkt angekommen, im neuen Heim und der neuen Katzengruppe.

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6 Antworten zu Vergessene Jubiläen und ein schwarzer Kater

  1. Sebastian schreibt:

    Ich finde es unglaublich, wieviele Gedanken man sich da doch machen kann. Versteckmöglichkeiten schaffen, soweit komme ich noch mit, aber sich hinzulegen, um der Katze die Scheu zu nehmen, während man vorliest… das verlangt sehr viel Empathievermögen, das ist bewundernswert. Ich sollte öfters nach meinen Meerschweinchen schauen 🙂

  2. Lotta Gruen schreibt:

    Ach Sebastian, einfach nur danke. 🙂
    Meerschweine finde ich übrigens faszinierend, was die für einen Kram zusammenquieken können!

  3. Frank schreibt:

    Gegendarstellung
    Die Behauptung, ich besäße ein Spice Girls-CD und würde mir diese gelegentlich anhören, ist unrichtig. Richtig ist vielmehr: Eine Spice Girls-CD, die ich – hypothetisch – besäße (was ich nicht tue), würde ich nie hören (was ich auch nicht tue).

  4. Sebastian schreibt:

    Meerschweinchenquieken ist für mich das beruhigendste Geräusch überhaupt. Nicht ganz so schön ist Spice Girl-Quieken, aber in Mel C war ich mal verliebt.

  5. Frank schreibt:

    Ich zunächst in Emma, später Geri. Hypothetisch!

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